Seit der Eröffnung vor fünf Jahren wurden 440 Menschen bis zum letzten Atemzug begleitet. Jetzt baut das Hospiz St.Gallen die Plätze aus.
Publikation am 28.09.2023 im St. Galler Tagblatt
Von Christina Weder
Foto: Donato Caspari
Bildlegende: Karin Karathanasis, Leiterin Administration und Finanzen, und Jeanette Oertle, Co-Pflegeleiterin in der Villa Jacob: «Diese Arbeit geht nicht spurlos an einem vorbei.»
Am Anfang war ein 23-jähriger Tumorpatient. Die Therapien hatten nicht angeschlagen. Das Kantonsspital St.Gallen konnte nichts mehr für ihn tun. Er sollte in ein Pflegeheim verlegt werden. Doch er weigerte sich. Eine Alternative gab es damals nicht. Das war vor 14 Jahren.
Das Schicksal des jungen Mannes liess drei Mitarbeitende der Palliativstation des Kantonsspitals St.Gallen nicht los. Es war für sie der Auslöser, um sich für einen Ort einzusetzen, an dem auch jüngere Menschen die letzten Lebenstage in Würde verbringen können. Die drei hatten einen langen Weg vor sich. Es dauerte neun Jahre, bis das Hospiz in St.Gallen eröffnet werden konnte. 2018 war es so weit. Nun feiert das Hospiz das Fünf-Jahr-Jubiläum.
Die Herausforderung: Die Finanzen
Zunächst war das Hospiz im Osten der Stadt in einem Provisorium untergebracht. Vor zwei Jahren zog es in die Villa Jacob bei der Kreuzbleiche – jene Villa, die 2017 um 20 Meter verschoben werden musste, um Platz für den Neubau des Alters- und Pflegeheims der GHG Rosenberg zu schaffen. Es ist ein grosszügiges Haus mit Parkettböden, gusseisernen Treppengeländern, lichtdurchfluteten und liebevoll eingerichteten Räumen. «Ein schöner, würdevoller Ort, um Abschied zu nehmen», sagen Karin Karathanasis und Jeanette Oertle, als sie durchs Haus führen.
Die beiden sind erst dieses Jahr neu zum Team dazugestossen – Jeanette Oertle als Co-Pflegeleiterin und Karin Karathanasis als Leiterin Administration und Finanzen. Sie teilen sich mit Co-Pflegeleiterin Daniela Palacio neu die Geschäftsführung. Oertle und Karathanasis sagen: Fünf Jahre nach der Eröffnung sei das Hospiz gut unterwegs. Vieles sei positiv: der zentrale Standort, das schöne Haus, die ruhige Atmosphäre, das motivierte Team.
Eine Herausforderung bleibe die Finanzierung. Das Hospiz rechnet seine Leistungen wie ein Pflegeheim ab. Die Krankenkasse, die öffentliche Hand und die Bewohnerinnen und Bewohner steuern je einen Teil bei. Nur, sagt Karin Karathanasis: «Unsere Aufwände sind damit längst nicht gedeckt. Denn sie sind viel höher als in einem Pflegeheim.» Aufgrund der komplexen Pflegesituationen hat das Hospiz deutlich höhere Personalkosten. Der Stellenschlüssel beträgt 1,2 Stellen pro Bett. Deshalb ist das Hospiz zu fast 40 Prozent auf Spenden angewiesen. Jährlich muss es eine knappe Million an Spendengeldern generieren. «Das treibt uns um», sagt Karathanasis.
Kürzere Aufenthalte, mehr Wechsel
Trotz knapper Finanzen: Man habe Pläne mit dem Hospiz. In diesem Herbst soll das Angebot ausgebaut werden. Statt sieben sollen neu neun Zimmer zur Verfügung stehen. Denn: In den vergangenen fünf Jahren ist die Nachfrage gestiegen. Zugleich sind die Fälle komplexer geworden, und die Fluktuation hat zugenommen. Noch vor zwei Jahren verbrachten die Bewohnerinnen und Bewohner durchschnittlich vier Wochen im Hospiz, aktuell sind es noch drei Wochen. Oft geht es schnell. Die Hälfte stirbt in den ersten 14 Tagen nach dem Einzug.
Es gibt viele Wechsel.
440 Personen wurden seit 2018 im Hospiz gepflegt und bis zum Tod betreut. 73 Prozent kamen aus dem Kanton St.Gallen, 14 Prozent aus dem Thurgau, 12 Prozent aus den beiden Appenzell. Mit diesen Kantonen unterhält das Hospiz eine Leistungsvereinbarung. Nur ein Prozent kam von ausserhalb. Wer einzieht, ist sich bewusst: Das Hospiz ist die letzte Station. 80 Prozent haben Krebs im Endstadium. Lebensverlängernde Massnahmen gibt es im Hospiz keine mehr. Das Durchschnittsalter liegt bei 67 Jahren. Der jüngste Bewohner war 19, die älteste Bewohnerin über 90 Jahre alt.
Im Hospiz spricht niemand von Patientinnen und Patienten. Die Villa Jacob soll für die Bewohnerinnen und Bewohner ein Ort sein, um Abschied zu nehmen – fern vom cleanen Spitalalltag und vom Hin und Her auf den Spitalgängen. Besonders wichtig ist den Mitarbeitenden: Im Hospiz wird nicht nur gestorben, sondern vor allem gelebt. Jeanette Oertle sagt: «Die verbleibende Zeit soll genutzt werden können, um Angehörige zu treffen, Gespräche zu führen oder einfach um Ruhe zu finden.»
Personal bekommt Verstärkung
Manchmal ist ein Zimmer frei, wenn eines gebraucht wird, manchmal nicht. Zeitweise wird im Hospiz eine Warteliste geführt. «Wir müssen manchmal priorisieren, wer als Nächstes ein Zimmer bekommt», sagt Jeanette Oertle. Für die zwei zusätzlichen Plätze, die ab Herbst angeboten werden, wurden bereits vier neue Pflegefachpersonen eingestellt. Trotz Fachkräftemangel habe man keine Probleme gehabt, die Stellen zu besetzen. «Das hängt wohl damit zusammen, dass wir in einer Nische tätig sind und mehr Zeit für die einzelnen Bewohnerinnen und Bewohner haben», vermutet sie.
Aktuell sind 25 Personen im Hospiz beschäftigt. Sie teilen sich 14 Stellen. Niemand arbeitet Vollzeit. Aus gutem Grund, wie Oertle sagt. Ein Ausgleich sei wichtig, die Arbeit sei intensiv. «Manche Schicksale gehen einem nahe. Gerade wenn Kinder hinterlassen werden, ist es schwer», sagt Karin Karathanasis. Das gehe nicht spurlos an einem vorbei. In solchen Situationen sei der Austausch im Team besonders wichtig.
Beide sind sich einig: Die Arbeit in Hospiz sei keineswegs nur traurig. «Sie gibt uns viel zurück.» Sie lehre, demütig zu sein und nicht alles für selbstverständlich zu nehmen. Neben den Festangestellten engagieren sich freiwillige Mitarbeiterinnen und sieben ehrenamtliche Vorstandsmitglieder im Hospiz.
Ein Ziel für die nahe Zukunft: Das Hospiz strebt eine Zertifizierung an und will das Gütesiegel Hospize Schweiz erlangen. Viele der dafür nötigen Standards erfülle man schon, sagen Oertle und Karathanasis. Einiges gebe es noch zu tun: So müsse der Therapiebereich erweitert, in die Ausbildung des Personals investiert und die Arztvisite ausgebaut werden. Doch vorerst steht das Jubiläum an. Und der Rückblick auf das, was bis jetzt erreicht wurde.