Todkranke sollen in Frieden und Würde sterben können, doch die Sterbehospize kämpfen in der Schweiz mit finanziellen Schwierigkeiten

In der Schweiz gibt es immer mehr Sterbehospize. Finanziell stehen sie allerdings noch auf wackligen Beinen und können ohne Spenden nicht überleben. Notwendig wäre eine Gesetzesänderung.

NZZ-Bericht von Jörg Krummenacher 02.11.2019

Niemand redet gern über das Unausweichliche. Auch die Politik nicht. Wo und wie man stirbt, will man sich mitten im Leben nicht ausmalen, wie es finanziert wird, erst recht nicht. Darunter leiden mit den Hospizen just jene Institutionen, welche die letzte Lebenszeit so erträglich wie möglich machen wollen – für die Patientinnen und Patienten wie auch für deren Angehörige. Todkranke sollen in Frieden und Würde sterben können.

Die Aufgabe stationärer Hospize ist es, zu lindern, nicht zu heilen. Sie füllen dabei eine Lücke zwischen Pflegeheimen und Palliativstationen in Spitälern. Sie richten sich an eine zunehmende Zahl von Personen, die an lebensbedrohlichen, unheilbaren und fortschreitenden Krankheiten leiden, aber keine stationäre Akutversorgung mehr benötigen, deren Krankheitssituation indes zu komplex ist, als dass sie im Pflegeheim oder zu Hause betreut werden könnten.

Finanziell zwischen Stuhl und Bank<

Mit Spannung erwartet Hans Peter Stutz einen Bericht des Bundesamts für Gesundheit, der, so hofft er, noch im laufenden Jahr publiziert wird. Der Bericht soll Grundlage sein, um die Finanzierung von Hospizen auf gesunde Beine zu stellen. Stutz ist Geschäftsleiter des 2015 gegründeten Dachverbands Hospize Schweiz, der derzeit 16 Mitglieder quer durch die Schweiz zählt. Er hofft darauf, dass der Bund in absehbarer Zeit die gesetzlichen Grundlagen schafft, damit der in der Schweiz noch relativ junge Bereich der Hospize finanziell nicht mehr zwischen Stuhl und Bank fällt.

In einer dreiteiligen Serie werfen wir einen Blick auf die Betagtenpflege in der Schweiz abseits von Heimen und Spitälern. Die beiden anderen, bereits publizierten Texte handeln von der Hilflosenentschädigung und von den sogenannten Pendelmigrantinnen aus Osteuropa, die Betagte zu Hause betreuen.

Derzeit gibt es rund 150 Betten in Sterbehospizen, in absehbarer Zeit sollen es 250 sein. Zum Vergleich: Die Zahl der Betten in Schweizer Pflegeheimen beläuft sich auf knapp 100 000. Die Nischenfunktion zwischen Spital und Pflegeheim ist ein Grund, weshalb die Hospize im geltenden Krankenversicherungsgesetz (noch) der Langzeitpflege zugeordnet sind. Künftig sollen sie, dies die Forderung von Hospize Schweiz, klar definiert und eigenständig finanziert werden, wie dies etwa in Deutschland der Fall ist. Bereits hat der Dachverband seine Anliegen vor der ständerätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit präsentiert. Hans Peter Stutz hofft, dass der Bundesrat von sich aus eine Gesetzesanpassung in Angriff nimmt.

Entlastung für Akutspitäler

Heute haben die Hospize im Wesentlichen den Status eines spezialisierten Palliative-Care-Pflegeheims, ihre Leistungen werden nach geltendem Pflegeheimtarif abgerechnet. Das reicht bei weitem nicht, um die Kosten zu decken. Denn in einem Hospiz ist der Betreuungsaufwand mit 1,2 Vollzeitstellen pro Bett doppelt so hoch wie in einem Pflegeheim, zudem müssen die Qualifikationen des Pflege- und Therapiepersonals dem Spitalstandard entsprechen. Nicht eingerechnet in den Kosten sind dabei die zahlreichen Freiwilligen, die in Hospizen ohne Entgelt mithelfen und den Schwerkranken zusätzlich beistehen.

Letztlich fehlen in der Kasse eines Hospizes pro Patient und Tag rund 300 bis 500 Franken. In einem Jahr resultieren durchschnittlich mehrere hunderttausend Franken Verlust. Die Beträge müssen durch Spendengelder ausgeglichen werden. Gleichzeitig sind die Kosten in einem Sterbehospiz deutlich geringer als jene auf der Palliativstation eines Akutspitals: Während ein Kliniktag rund 2500 Franken kostet, kommt ein Pflegetag in einem Hospiz auf 800 bis 1300 Franken zu stehen. «Hospize entlasten faktisch die Palliativstationen und damit das gesamte Gesundheitssystem», sagt Roland Buschor, der im Vorstand von Hospize Schweiz für die Finanzen zuständig ist und das 2018 gegründete Hospiz in St. Gallen leitet. Buschor plädiert für eine Zwischenlösung zwischen Pflege- und Spitaltarif, etwa in Form von spezifischen Tagespauschalen.

Komplizierter Finanzierungsmix

Manchmal sind es wenige Stunden, selten auch mehrere Monate, die todkranke Menschen in einem Sterbehospiz verbringen. «Im Durchschnitt sind es bei uns drei Wochen», sagt Roland Buschor mit Blick auf das St. Galler Hospiz. Die Mechanismen der Finanzierung machen auch den Patienten das Leben schwer. Einen gewichtigen Teil müssen sie gemäss heutiger Regelung nämlich selbst berappen: rund 250 Franken pro Tag. «Für jüngere Normalbürger mit laufenden Haushaltskosten ist das nicht tragbar», bedauert Hospize-Schweiz-Geschäftsleiter Hans Peter Stutz. Das schrecke manche davon ab, ihre letzte Lebenszeit in einem Hospiz zu verbringen. «Es ist aber falsch», sagt Stutz, «wenn Menschen, die in einem Hospiz bestens versorgt werden könnten, aus finanziellen Nöten Leistungen der Akutmedizin beziehen.»

Insgesamt fliessen die Gelder für einen Hospizaufenthalt heute über diverse Kanäle: Kantone, Gemeinden, Krankenkassen, Ergänzungsleistungen, Patienten, Sponsoren. Jeder Kanton, jede Gemeinde kennt, wie das so ist im föderalistischen System, im Detail eigene Regeln und Zuständigkeiten.

Luzerner Hospiz eröffnet im Januar

Die grösser werdende Bedeutung der Hospize rechtfertigt eine neue, gerechte und weniger komplizierte Finanzierung. Unter den sechzehn Mitgliedern des Dachverbands finden sich neun bestehende Hospize, darunter das «Lighthouse» in Zürich, das bereits 1988 gegründet wurde, um ursprünglich Aidskranken ein letztes Zuhause zu bieten. Weitere sieben Hospize sind derzeit im Bau oder in der Projektphase.

Am 6. Januar wird das erste Hospiz der Zentralschweiz in Luzern-Littau eröffnet. Die Baukosten von gut 7 Millionen Franken sind gänzlich durch private Spender aufgebracht worden. Hans Peter Stutz ist hier Mitinitiant und Geschäftsführer. Mit dem Hospiz Zentralschweiz und seinem Engagement im Dachverband will er dazu beitragen, dass auch in der Schweiz eine von Politik und Gesellschaft getragene «Hospiz-Kultur» entsteht, dass das Sterben enttabuisiert wird und es eine Spur seines Schreckens verliert.