Vom Werden, Sein, Vergehen

Der Dachverband Hospize Schweiz traf sich am 7. Mai 2019 zur Generalversammlung in Luzern. Am Morgen widmete man sich den offiziellen Geschäften. Das Nachmittagsprogramm war öffentlich und sehr gut besucht. Linard Bardill, der Musiker und Autor, spielte im Schweizerhof in Luzern auf.

Im Juwel des Schweizerhofs Luzern, dem Zeugheersaal, eröffnet Hans Peter Stutz, Geschäftsleiter des Dachverbandes, den Publikumsnachmittag mit wenigen Worten zur Situation der Hospize in der Schweiz. Das Hospiz Zentralschweiz ist Gastgeberin der diesjährigen Generalversammlung und hat sich um die Organisation gekümmert. Deshalb ergreift auch Sibylle Jean-Petit-Matile, Geschäftsleiterin der Stiftung Hospiz Zentralschweiz, kurz das Wort und begrüsst auf ihre erfrischende und herzliche Art das Juwel aus dem Bündnerland – Linard Bardill.

Nicht als schillernder Rockstar bejubelt, doch von hunderttausenden Menschen gehört und verstanden. Das ist Linard Bardill, der Musiker und Autor und eine der aussergewöhnlichsten Figuren der Schweizer Kleinkunstszene. Er schafft mit seinen Liedern und Texten den Brückenschlag von Herz zu Kopf und wieder zurück. Er verpackt Schweres in eingängige Liedtexte und zaubert seinen Zuhörern, den grossen und den kleinen, mit seiner ach so sympathischen Art ein Lachen ins Gesicht. Auch an Krankenbetten … Heute steht Linard Bardill nicht an einem Krankenbett, nicht auf einer grossen Bühne. Er widmet seine Zeit dem Publikum im Hotel Schweizerhof in Luzern. Es ist ein Dienstagnachmittag, der Saal gut gefüllt. Menschen jeden Alters sind dem Ruf gefolgt. Sie lauschen seinen luftigen Liedern und irdenen Geschichten von Werden, Sein, Vergehen und vom Licht des Sterbens. Die ersten Gitarrenklänge und dann richten sie sich auf, die Härchen an den Armen. Als wollten sie dem Begnadeten aus dem Bündnerland Spalier stehen. Er, der den Nachmittag mit einem rätoromanischen Lied eröffnet. Die wenigsten im Saal verstehen diese Sprache. «Das Leben ist manchmal wie ein Lied, das man nicht versteht», wird er später schmunzelnd erklären. Das mag stimmen. Doch der Melodie kann man trotzdem lauschen. Linard Bardills Lieder und Gedichte sind ein Versuch, aus dem Inneren Äusseres zu machen. «Etwas ans Licht zu bringen, das man in sich trägt», so der Künstler. Das Thema sei nicht einmal so zentral, viel mehr der innere Antrieb. Denn alles was aus einem dringen darf, macht gesund. Alles, was in einem stecken bleibt, macht krank – unabhängig ob Trauma, Freude oder Trauer. Gefühle wollen gelebt und gezeigt werden. Der Ausdruck gehört zum Menschen. Und so drückt Linard Bardill aus, was in ihm steckt. Heute Nachmittag und oft auch als jodelnder Sterbebegleiter an Kinderbetten. Was ihn dazu bewegt? Seine eigene Geschichte.

Das Leben ist die Liebe und die Liebe ist Sinn

GV Dachverband Hospize Schweiz und Linard Bardill, Fotografin Margherita Delussu

Linard Bardill, Fotografin Margherita Delussu

Linard Bardill ist Vater von fünf Kindern, eines davon – Liun – mit einem Downsyndrom. Dieser junge Mensch, er nennt ihn liebevoll «dr klii Buddha», hat ihm mit seiner Art zu leben eine andere Sicht im Leben der Lieder gezeigt. Das Lebenslied findet nicht nur am Lagerfeuer, auf Bühnen und am Radio statt. Ein Lied kann an einer Bettkante im Spital oder bei jemandem der auf dem letzten Weg ist, Wunderbares bewirken. So erzählt Bardill vom Mädchen Ladina, das sterbenskrank war: «Das Mädchen wollte, dass ich vorbeikomme und ihm sieben kugelrunde Säue vorsinge.» Bardill nimmt seine Gitarre zur Hand, stimmt das Lied an und die Menschen im Saal schunkeln mit. Das ist heute. Damals, da hat er das Unmögliche möglich gemacht, plante den Besuch vor einem Konzert ein und sang am Bett des Mädchens dieses Lied. Wieder und wieder. Sein Sohn hat ihn gelehrt, die Dinge von einer anderen Seite zu betrachten. «Wenn man an einem Kinderbett singt, dann ist das intensiv. Wünscht ein Mensch sich Lieder, bekommen diese eine ganz andere Aufmerksamkeit. Ein Lied hat eine unglaubliche Kraft.» Nach diesem einen Privatkonzert sprang bei Linard Bardill der Funke, er griff zum Telefonhörer und seither … erfüllt er Liederwünsche von Sterbenskranken. Er wendet sich immer wieder der Frage nach dem Sinn des Lebens zu. «… den wir nicht haben, sondern sind. Was macht das Leben grundsätzlich sinnvoll? Ist es der Beruf, viel Geld, eine prächtige Wohnung? Was macht für einen Menschen auf dem Sterbebett Sinn? Solange wir den Sinn im Aussen suchen, geht er immer verloren. Das Leben ist die Liebe und die Liebe ist Sinn.» Darüber reflektiert er auch an diesem Nachmittag im Schweizerhof in Luzern. Und über das Verstehen, das in seinen Augen da möglich ist, wo das Leben etwas ausfranst. Das Leben ist Dasein. «Wenn es wirklich Dasein ist, dann ist es auch Sein. Sein ist mehr als nur existieren, es bedeutet, in hundert- und tausendfachem Bezug zu stehen. Hören, spüren, fühlen, schmecken, empfinden, all die Gegenstände, Menschen, Gerüche, die machen das Dasein aus. Weil man mittendrin steht. Das ist der Unterschied zu einfach existieren», sinniert Linard Bardill. Sein kleiner Buddha habe ihn gelehrt, im Moment zu sein. Das weiss Bardill heute und schiebt nach «…da fragt man sich manchmal schon, wer denn behindert ist. Wie unsinnig ist es, das Leben auf später zu verschieben?» Es ist jetzt. Genauso wie das Sterben, das er in wunderschönen Metaphern beschreibt. «Die Blüten seines Kirschbaums blühen an einem Tag. Am Nächsten fegt der Wind die Blüten von den Bäumen, sie sterben. Dafür spriessen an den Ästen Kirschen. Die man irgendwann isst, den Stein auf den Boden spuckt, woraus dann wieder ein Kirschbaum entstehen kann. So geht Leben und Sterben, von einem Zustand in den nächsten.» Die Menschen im prunkvollen Saal lauschen seinen Worten. Ihm, der da vorne auf der kleinen Bühne sitzt. Mit seinen blitzenden Augen, der Akustik-Gitarre in der Hand, überstrahlt er die prachtvollen Malereien und mächtigen Kronleuchter des Raumes mit Leichtigkeit. Einfach durch sein Sein. Nahbar und echt. Kritisch, ohne anzuklagen. Fragend, ohne zu werten. «Jede achte Tierart stirbt aus, weil der Mensch lebt, als ob er nicht Teil der Natur wäre. Wenn die Menschheit nicht endlich aufwacht, realisiert, dass wir ein Teil dieser Welt sind, dann wird es schwer, hier weiterzuleben. Meine Lieder haben sich vor 30 Jahren schon damit beschäftigt und tun es auch heute noch.» Stille. Nachdenken. Bardill bricht das Schweigen, holt sich zwei kleine Mädchen auf die Bühne und spielt mit ihnen «Sunne, Sunne, Sunnestrahl.» Die Menschen im Saal kennen das Lied und die Bewegungen, die es begleiten. Sie heben die Hände, formen das Dach und laden die Sonne ein. So wie Linard Bardill es immer tut, wenn er Licht an das Krankenbett eines jungen Menschen bringt.

 


Ergänzende Informationen:

Autorin: Wortsprudel, Yvonne Ineichen

Fotografin: Margherita Delussu