«Die Hospize brauchen sachgerechte Tarife»

Unheilbar kranke Menschen – junge wie alte – in ihrer letzten Lebensphase zu begleiten und zu versorgen, ihnen ein Sterben in Würde und Geborgenheit zu ermöglichen, dieser Herausforderung stellen sich in der Schweiz derzeit rund ein Dutzend Hospize. Mit grossem Engagement und in der Regel ebenso grossen Geldsorgen.

Palliative Care im Hospiz

Warum es Hospize als Ergänzung zur palliativen Grundversorgung braucht und warum deren Finanzierung einem permanenten Hürdenlauf gleichkommt, das wollte infosantésuisse von Hans Peter Stutz wissen, er ist Geschäftsführer des Dachverbands Hospize Schweiz.

infosantésuisse:
Was genau ist ein Hospiz?

Hans Peter Stutz: Gemäss der Palliative-Care-Strategie des Bundes sind Hospize spezialisierte sozialmedizinische Institutionen mit einem Palliative-Care-Auftrag. Die Patientinnen und Patienten in einem Hospiz sind schwer krank aber einigermassen stabil, so dass ihre Pflege und Betreuung ausserhalb eines Akutspitals möglich und sinnvoll ist. Die Aufgabe eines Hospizes ist nicht das Heilen, sondern das Lindern – und das würdevolle, ganzheitliche Begleiten dieser Menschen in ihrer letzten Lebensphase, auch unter Einbezug ihrer Angehörigen.

Wie kommt es, dass Hospize in der Regel tiefrote Zahlen schreiben und ihren Betrieb nur dank Spendengeldern aufrechterhalten können?

Mit wenigen Ausnahmen haben Hospize in der Schweiz den Status eines spezialisierten Palliative-Care-Pflegeheimes und verrechnen ihre Leistungen somit nach dem geltenden Pflegeheimtarif. Der Tatsache, dass der Pflegeaufwand pro Patient in einem Hospiz ziemlich genau doppelt so hoch ist wie in einem klassischen Pflegeheim, wird dabei nicht Rechnung getragen. Derzeit können wir pro Tag und Patient rund 700 Franken abrechnen, die effektiven Betreuungs- und Behandlungskosten eines Palliative-Care- Patienten belaufen sich jedoch auf gut und gerne 1000 Franken. Das heisst, jeder Hospiz- Patient generiert pro Tag ein Defizit von 300 Franken. Das ist der Grund, weshalb alle Hospize – sie sind in der Regel als Stiftungen organisiert – in hohem Masse auf Spendengelder angewiesen sind, um ihr Betriebsdefizit auszugleichen.

Was macht die Hospiz-Pflege denn so teuer?

Wir haben es mit schwerstkranken, sterbenden Menschen zu tun. Rechnet man im Pflegeheim mit einem Betreuungsaufwand pro Patientin von 0,6 Pflegenden, sind es in der spezialisierten Palliative Care eines Hospizes 1,2 Pflegende, die sich um einen Kranken kümmern. Dies entspricht dem Spitalstandard, übrigens auch was die Qualifikationen des Pflege- und Therapiepersonals betrifft.

Da drängt sich die Frage auf, weshalb Hospize nicht als Spitäler organisiert sind und entsprechend mit Fallpauschalen abrechnen? Dies würde doch einige Finanzierungsprobleme lösen.

Um als Spital anerkannt zu werden, braucht es zusätzlich zum Leistungsauftrag des Kantons unter anderem eine Spitalinfrastruktur mit einem Chefarztsystem. Das ist erstens teuer und entspricht zweitens nicht dem Bedürfnis unserer Patienten. Diese sind nämlich oft «spitalmüde»; sie haben das «medizinisch Machbare» im Akutspital längst hinter sich und möchten ihre letzten Tage sinn- und liebevoll betreut in einer familiären Umgebung verbringen. Ohne «Austritts-Druck», ohne das Zählen von Behandlungstagen und der Unsicherheit, wie es weitergehen soll, wenn der Tod länger als prognostiziert auf sich warten lässt. In der Schweiz gibt es derzeit nur drei Hospize, die einen Spitalstatus haben: zwei in Basel, eines im waadtländischen Blonay.

«Die Schweiz ist ein Entwicklungsland in der Hospizkultur.»

Sehen Sie sich als Konkurrenz zum Basisangebot in den Akutspitälern?

Im Gegenteil. In der «Nationalen Strategie Palliative Care» spielt das allgemeine palliative Behandlungsangebot in Akutspitälern eine zentrale Rolle. Es ist wichtig zu wissen, dass in diesen Grundversorgungsstrukturen – dazu gehören Akutspitäler, Pflegeheime und Spitex-Organisationen – derzeit rund achtzig Prozent aller Schwerkranken behandelt werden. Und zwar sehr gut. Im Spital besteht das Ziel, die Patienten soweit zu stabilisieren, dass ihre weitere Betreuung entweder in einem Pflegeheim möglich wird oder aber ambulant zuhause, mit der Unterstützung des Hausarztes und der Spitex. Das Problem bei dieser Versorgungskette sind die häufigen Re-Hospitalisierungen. Verschlechtert sich der Gesundheitszustand eines Patienten, egal ob im Pflegeheim oder zuhause betreut, fängt das Behandlungskarussell sich fast gezwungenermassen erneut an zu drehen: Spitalnotfall, Spitaleinweisung, Stabilisierung, Entlassung, Pflegeheim und kurze Zeit später oft wieder Spitalnotfall. Das sind oft sinnlose, für die Patienten belastende Prozesse mit massiven Kostenfolgen für das Gesamtsystem.

Das heisst, zwanzig Prozent der Schwerstkranken sind eigentliche Hospiz-Fälle und sollten auch in solchen Institutionen betreut werden?

Nein, von diesen zwanzig Prozent werden in Hospizen «nur» etwa drei Prozent betreut. Alle übrigen Patienten benötigen eine andere spezialisierte Palliative-Care-Versorgung: entweder auf einer Palliativstation im Akutspital oder zuhause, durch eine auf Palliative Care spezialisierte Spitex. Das Hospiz ist für relativ stabile Patienten am Lebensende da. Insbesondere für solche, die zuhause nicht betreut werden können. Das kann sein, weil keine Angehörigen da sind oder die Familienmitglieder mit der Aufgabe überfordert sind.

Wobei der Aufenthalt auf einer Palliativstation eines Spitals wahrscheinlich teurer zu stehen kommt als im Hospiz.

Richtig. Das Spital rechnet mit einer DRG-Fallpauschalen ab, die in der Regel höher ausfällt als der Pflegetarif, der im Hospiz verrechnet wird. Über den Daumen gepeilt kostet ein Kliniktag ohne Intensivstation rund 2500 Franken, der Pflegetag im Hospiz rund 1000 Franken. Mit einem gezielten Ausbau der Hospiz-Infrastruktur könnte die Schweiz ihr Gesundheitssystem also massiv entlasten. Konservativ geschätzt sprechen wir hier von jährlichen Kosteneinsparungen von rund fünfzig Millionen Franken.

Wo steht die Schweiz punkto Hospiz-Kultur?

Noch in der Entwicklungsphase, würde ich sagen. Derzeit stehen uns rund 135 Betten zur Verfügung, verteilt auf 13 Institutionen. Das entspricht etwa einem Drittel des effektiven Bedarfs. Aber es tut sich etwas – schweizweit sind fünf weitere Projekte in Planung. Darunter das Hospiz Zentralschweiz in Luzern/Littau, dessen Spatenstich kurz bevorsteht und das dereinst mit stationären und ambulanten Angeboten ein Kompetenzzentrum für spezialisierte Palliative Care wird. Das ist insbesondere auch ein Lichtblick für junge schwerkranke Menschen. Diese habe derzeit nur die Wahl zwischen Spital oder Alterspflegeheim, was verständlicherweise eine unnötige psychische Belastung mit sich bringen kann, für die Patienten wie für ihre  Angehörigen.

Was fordert der Hospiz-Dachverband von der Politik und insbesondere den Krankenversicherern?

Sie sollen zum einen die gesundheitspolitische und insbesondere auch die volkswirtschaftliche Bedeutung der Hospize anerkennen. Unsere Institutionen stehen für die optimale Versorgung und Betreuung von schwerstkranken Menschen und sind im Vergleich zu den Behandlungen in Akutspitälern erwiesenermassen kostengünstiger. Hier liegt ein grosses Einsparpotenzial brach. Zum anderen ist es an der Zeit, dass man uns bei der Findung sachgerechter, angemessener Hospiz-Tarife unterstützt. Nur so wird es möglich sein, in der Schweiz eine auch von Politik und Gesellschaft getragene «Hospiz-Kultur » aufzubauen, wie es sie beispielsweise in Deutschland schon längst gibt. Und nur so ebnen wir den Weg für weitere, dringend nötige Einrichtungen. Wir machen uns nichts vor, Hospize werden immer auf Spenden angewiesen sein. Aber eine Finanzierung aus der obligatorischen Grundversicherung, die zumindest eine schwarze Null ermöglicht, muss ganz klar das Ziel sein.

«Hospize brauchen sachgerechte Tarife, um ihren Auftrag zu erfüllen.»

Stehen Sie derzeit in Verhandlungen mit den Krankenversicherern und deren Leistungseinkaufsgemeinschaften?

Der Dachverband Hospize Schweiz ist noch jung; uns gibt es seit ziemlich genau drei Jahren. Die Zeit seit der Gründung haben wir genutzt, um die Grundlagen für die politische Diskussion und die Verhandlung über Tarifverbesserungen zu entwickeln. Jetzt beginnen die Verhandlungen auf den verschiedenen Ebenen. Wir freuen uns über Signale aus der ganzen Schweiz, die politisch eine gute Positionierung der Hospize anstreben.

 

Interview: Susanne Steffen
infosantésuisse Ausgabe 4 / 5 | 2018

Das Interview mit Hans Peter Stutz im Magazin INFO Santé Suisse 2018 4/5 als PDF öffnen